-
Beschreibe das Kerngebiet des Nervus abducens. #
- - liegt im unteren, mittleren Hirnstamm am Übergang von der Pons zur Medulla oblongata, nahe des 4. Ventrikels und wird vom Nervus facialis umlaufen (= inneres Facialisknie)
- - der N. abducens teilt sich auf in Motoneurone, deren Axone den N. abducens bilden und internukleäre Neurone, deren Axone sich dem medialen longitudinalen Fasciculus (langes Nervenfaserbündel) angliedern und zum gegenseitigen Kerngebiet des NIII ziehen
-
Beschreibe den Verlauf des Nervus abducens vom Kerngebiet zum Erfolgsorgan. #
- - N. abducens besteht aus ca. 3000 myelinisierte Axone
- - der Nerv verläuft vom Kerngebiet aus nach vorne
- - verlässt den Hirnstamm unterhalb der Pons
- - dann relativ steiler Verlauf nach oben
- - verläuft nahe der A. basilaris
- - entlang der Schädelbasis im Subarachnoidalraum
- - an der oberen Kante des Felsenbeins entlang (Felsenbeinpyramide)
- - durchbricht die Dura mater an der Klivuskante
- - verläuft durch den Dorello-Tunnel
- - dann am Keilbein entlang
- - zieht vorbei an der A. carotis interna
- - trifft zusammen mit dem NIII und NIV
- - durchquert den Sinus cavernosus in enger Nachbarschaft von NIII, NIV, NV (1. und 2. Ast) und der A. c. interna
- - gelangt durch die Fissura orbitalis superior in die Orbita
- - durchläuft den Zinn'schen Ring
- - inseriert im hinteren 1/3 des M. rectus lateralis
-
Beschreibe das Erscheinungsbild einer Abduzensparese. #
- - Esotropie, meist des betroffenen Auges
- - F > N
- - bei Fixation mit paretischem Auge Winkelvergrößerung = sekundärer Winkel
- - Schielwinkelzunahme in Blickrichtung des paret. Muskels (-> Inkomitanz)
- - Motilität: eingeschränkte monok. Bewegungsstrecke in die Abduktion
- - verlangsamte Abduktionssakkade des paret. Auges
- - ggf. übersch. Adduktionssakkade
- - ggf. paret. Nystagmus bei Fixation mit dem paret. Auge
- - KZH: Kopfwendung zur Seite der Parese
- - BES in KZH
- - BES-Feld in der Gegenrichtung der Parese
- - subj. Beschwerden: homonyme DB, ggf. past-pointing, gestörte egozentrische Lokalisation
-
Was sind mögliche Ursachen von erworbenen Abduzensparesen? #
- - Raumforderungen (Tumore, Aneurysmen, Blutungen)
- - DBS/ vaskuläre Störungen (der N. abduzens wird durch Abzweigungen der A. carotis interna versorgt), z.B. durch Diabetes mellitus oder Aneurysmen kann es zu Veränderungen der Arterien zu Blutungen oder Quetschungen kommen oder bei Minderdurchblutung z.B. Schlaganfall
- - Läsionen im Sinus cavernosus (Fistel, Zyste, Hypophysentumor)
- - Trauma/ Hirndruckerhöhung
- - Multiple Sklerose, dann meist als INO (im MRT Demyelinisierungen nachweisbar)
-
Was sind typische Anzeichen für einen erhöhten Hirndruck? #
- - starke Kopfschmerzen
- - morgendliches Erbrechen
- - Abduzensparese ggf. bds
- -Stauungspapille
- - reduzierter Allgemein- und Bewusstseinsszustand
- - bei Kindern: Sonnenuntergangsphänomen
-
Was sind mögliche Ursachen der angeborenen Abduzensparese? #
- - extrem selten, dann meist Paralyse
- - Geburtstraume, Kernaplasie- dann evtl. eher Retraktionssyndrom
- - ungeklärte Ursachen z.B. Hirndrucksteigerung während der Geburt, dann kommt es meist spontan zur Rückbildung während der ersten Lebenstage- oder wochen
- - in den meisten Fällen Retraktionssyndrom- gezielt nach Lidspaltensymptomatik suchen
-
Beschreibe das Erscheinungsbild der benignen Abduzensparese. #
- - plötzlich auftretend im Kindesalter
- - häufig nach fieberhaften Infekten, Infektionserkrankungen, Zahnen, Impfung
- - häufiger das linke Auge
- - meist Rückbildung innerhalb einiger Wochen/ Monate
- - Rezidivgefahr
- - Übergang in manifestes Schielen möglich
-
Wie wird die benigne Abduzensparese therapiert? #
- - kinderneurolog. Abklärung, inklusive Bildgebung
- - ggf. Prismenfolie
- - enge Verlaufskontrolle
- - ggf. Amblyopieprophylaxe
-
Wie ist die Prognose der benignen Abduzensparese? #
• gute Chance auf komplette Rückbildung
-
Beschreibe die konservativen Therapiemöglichkeiten der Abduzensparese. #
- - vorerst Ursache klären (neurolog., radiolog., ggf. parallel auch internistische Behandlung der Risikofaktoren)
- - Prismen: bei unvollständigen Paresen gut einsetzbar, vor das paret. Auge, sodass das BES-Feld in die Mittelposition gerückt wird, ggf. Prismenfolie nur für die Ferne
- - Okklusion: bei großen Schielwinkeln oft einzige Möglichkeit zur Beseitigung von Diplopie, paret. Auge, um Orientierungsstörungen zu vermeiden
- - Botox: verhindert die Acetylcholinabgabe an den motor. Endplatten; Injektion in den ipsilat. Antagonisten, verhindert die Entwicklung von Sekundärveränderungen der Muskeln
-
Beschreibe die operativen Therapiemöglichkeiten bei der Abduzensparese. #
- - sollte sich die Parese nicht innerhalb eines Jahres zurückgebildet haben und das Ergebnis der konserv. Therapie nicht zufriedenstellend sein, ist eine AM-OP möglich (früher wenn sicher ist, dass der Nerv durchtrennt ist)
- - nicht jede Restparese muss operiert werden, wenn der Pat. z.B. mit Prismen gut zurechtkommt, oder eine OP ein zu großes Risiko darstellen würde
- - 3 OP-Methoden:
- 1. OP zur Verbesserung der Augenstellung (bulbusverlagernde)
- 2. OP nach dem Prinzip der Gegenparese am nicht paret. Auge; Nachteil: es wird eine Blickparese induziert, die bei einer Abduzensparese sehr störend sein kann, besser geeignet bei Trochlearisparese
- 3. ansatzverlagernde Operationen (Muskeltransposition)
- 4. Muskelverlagernde OP- Methoden: z.B. OP nach Hummelheim: rect. sup. und rect. inf. werden zweigeteilt und jeweils die temporalen Anteile über/unter den rect. lat. genäht
-
Wie ist die Prognose der Abduzensparese? #
- - grundsätzlich abhängig von der Ursache
- - Rückbildung ist möglich besonders bei vaskulärer Ursache; unwahrscheinlich wenn der Nerv durchtrennt wurde z.B. intraoperativ oder traumatisch
- - Prognose nach einer OP: Motilitätsstörung wird bestehen bleiben, ggf. kann sich die Abduktionsfähigkeit bei einer Muskeltransposition leicht bessern
- - bei Paralysen ist wahrscheinlich eine 2. OP notwendig
- - Ziel der OP: Einfachsehen im Gebrauchsblickfeld, kosmetisch unauffällig
-
Was sind die DD der Abduzensparese? #
- - Esotropie im Senium (neurolog. Abklärung notwendig)
- - frühkindliche Esotropie (passive Motilität)
- - Retraktionssyndrom (Lidspaltensymptomatik)
- - Normosensorisches Spätschielen
- - hohe Myopie mit Heavy eye Syndrom
- - EO
- - Myasthenie (ermüdungsabhängig)
- - Myositis (Bewegungsschmerz)
-
Beschreibe das Gradenigo- Syndrom.
- - es handelt sich um eine entzündliche Erkrankung der Pyramidenspitze des Felsenbeins -> diese liegt in der unmittelbaren Nähe des Innenohres und des Canalis facialis (der N. abduzens verläuft genau über die Spitze)
- - seit Antibiotika-Anwendung sehr selten
- - Ursache Otitis media
- - Therapie: Antibiotika, ggf. operative Maßnahmen im HNO-Bereich
- - sehr gute Prognose
-
Beschreibe das Möbius- Syndrom.
- - angeborene bds. Abduzens- und Facialisparese
- - Ursache: Aplasie oder Hypoplasie der Abduzens- und Faziliskerne
- - CCDD
- - Erscheinungsbild: bds. nukleäre Abduzensparese untersch. Ausprägung; bds. zentrale Fazialisschwäche untersch. Ausprägung, z.B. auch schwacher der fehlender Saugreflex beim Säugling, intaktes Bell'sches Phänomen, Lagophthalmus, Esotropie
- - zusätzlich Hemiatrophie der Zunge, Kopf- Thorax- Schädel- Extremitätendeformierungen, Muskeldefizite, Intelligenzdefizite
- - Therapie: AM-OP, HH-Pflege
-
Erläutere den Pathomechanismus/ Ursache des Retraktionssyndroms. #
- - gehört in die Gruppe der CCDD
- - intrauterine Störung im 2. Schwangerschaftsmonat
- - mögliche Ursache z.B. das Schlafmittel Thalidomid (Contergan)
- - genetische Disposition
- - in dieser Phase steuern Gene die Bildung der Kerngebiete und später die Wegfindung der Axone vom Kerngebiet zum Erfolgsorgan -> wenn das ausbleibt findet eine Art Notinnervation statt, sodass der M.rect. lateralis nun von Fasern des NIII innerviert wird
-
Was sind die allgemeinen Symptome des Retraktionssyndroms? #
- - Abduktionseinschränkung des betroffenen Auges
- - untersch. ausgeprägte Adduktionseinschränkung
- - typ. Lidspaltensymptomatik: Lidspaltenverengung in Adduktion, Bulbusretraktion in Adduktion, Lidspaltenerweiterung in Abduktion
- - ein- oder bds., häufiger LA betroffen
- - meist kleiner Schielwinkel in PP
- - geringe KZH, meist normales BES in KZH
- - in Adduktion up- und/oder down-shoot sichtbar
- - ggf. kombiniert mit anderen Fehlbildungen, z.B. Mikrophthalmus, Marcus-Gunn-Phänomen, Heterochromie
-
Erkläre die Entstehung der Bulbusretraktion in Adduktion beim Retraktionssyndrom. #
- Fasern des NIII, die den medialis innervieren, versorgen auch den lateralis, sodass in Adduktion beide Muskel kontrahieren und am Bulbus ziehen
-
Erkläre die Entstehung der Lidspaltenverengung in Adduktion beim Retraktionssyndrom. #
- durch die Bulbusretraktion besteht weniger Lidwiderstand
-
Erkläre die Entstehung der Lidspaltenerweiterung in Abduktion beim Retraktionssyndrom. #
- der lateralis erhält keine oder zu wenig Innervation, sowie der medialis, sodass beide erschlaffen und der Bulbus nach vorne kommt
-
Erkläre die Entstehung des Up- down- shoot beim Retraktionssyndrom. #
- 2 Hypothesen:
- 1. Fasern des NIII, die den medialis innervieren, versorgen auch den rect. superior und/ oder rect. inferior, sodass der Bulbus in Adduktion auch nach oben/ unten abweicht
- 2. durch die gleichzeitige Innervation von medialis und lateralis besteht eine hohe Spannung; die internukleäre Membran kann den Muskel nicht mehr in der ursprünglichen Position halten, sodass der Bulbus nach oben/ unten abrutscht
-
Erkläre die bessere Abduktionsfähigkeit im Aufblick beim Retraktionssyndrom. #
- - Nervenfasern, die normalerweise den rect. superior versorgen, wachsen in den rect. lateralis ein
- - beim Aufblick werden diese aktiv -> bessere Abduktionsfähigkeit
-
Erkläre die Kopfzwangshaltung beim Retraktionssyndrom. #
- - um der Bewegungseinschränkung auszuweichen; ca. 3/4 der Fälle
- - ca. 1/4 der Fälle, um am Rande der Bewegungseinschränkung zu fixieren; frgl. steht hier die störende Retraktion im Vordergrund
-
Erkläre die Veränderungen des Augeninnendrucks in versch. Blickrichtungen beim Retraktionssyndrom. #
- - durch Innervation der beiden Recti in Adduktion
- - in PP weniger Druck
- -> wichtige differentialdiagn. Untersuchung für paret./ mechan. Einschränkung
-
Erläutere das Erscheinungsbild des Retraktionssyndroms Typ I. #
- - am häufigsten
- - KZH: Drehung in Richtung des betroffenen Auges, um der Abduktionseinschränkung auszuweichen und in KZH BES zu erlangen
- - geringe Esotropie in PP
- - Lidspaltenerweiterung in Abduktion
- - Lidspaltenverengung in Adduktion
- - geringe Adduktionseinschränkung
- - kaum normal innervierende Abducensfasern
- - wenig fehlinnervierende NIII- Fasern
-
Erläutere das Erscheinungsbild des Retraktionssyndroms Typ II. #
- - KZH in Gegenrichtung des betroffenen Auges, um der Adduktionseinschränkung auszuweichen
- - geringe Exotropie in PP
- - geringe Abduktionseinschränkung
- - Adduktionsdefizit
- - Lidspaltenverengung und Retraktion in Adduktion
- - viele normal innervierende Abducensfasern
- - relativ viele fehlinnervierende NIII- Fasern
- - ggf. auch fibrot. Anteil des lateralis, der bei Adduktion nicht locker lassen kann
-
Erläutere das Erscheinungsbild des Retraktionssyndroms Typ III. #
- - Abduktions- und Adduktionseinschränkung
- - Esotropie oder Exotropie in PP möglich
- - KZH zur betroffenen Seite oder Gegenseite möglich
- - Lidspaltenverengung und Retraktion in Adduktion
- - wenige innervierende Abducensfasern
- - viele fehlinnervierende NIII-Fasern
- - meist auch fibrot. Anteil des rect. lateralis
-
Wie erklärt man sich die unterschiedlichen Ausprägungen des Retraktionssyndrom? #
- • in Autopsien/elektromyografischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass der Lateralis verschieden innerviert wird:
- - nur von Fasern des Medialis
- - noch vom Abduzens und vom Okulomotorius
- - es gibt nicht innervierte Anteile, die dann degenerieren/fibrotisieren
- - evtl. sprießen Fasern in den Lateralis ein vom rect. superior oder inferior (vertikales Retraktionssyndrom)
- - es können hoch- oder/und niederschwellige Neurone betroffen sein und so die Ausprägung beeinflussen
-
Beschreibe die Symptome des bilateralen Retraktionssyndroms.
- - häufig mit Binokularsehen, aber auch ohne
- - Ausprägung und Typ meist symmetrisch (immer R/L trotzdem vergleichen!)
- - keine wesentliche Stellungsabweichung und KZH
- - häufig wenig gestört, da fehlende Blickbewegungen durch Kopfbewegungen ausgeglichen werden können
- - außerhalb PP meist intensive Suppression
-
Wie kann das bilaterale Retraktionssyndrom therapiert werden?
- - Aufklärung über das Krankheitsbild
- - Bewegungseinschränkung lässt sich nicht wesentlich bessern, da es durch Fehlinnervation ausgelöst wird
- -> OP nur um Stellung in PP und KZH ggf. zu lösen
-
Beschreibe die konservativen Therapiemöglichkeiten des Retraktionssyndroms. #
- - Skia, Vollkorrektur
- - Aufklärung über das Krankheitsbild
- - ggf. Amblyopietherapie/ - prophylaxe
- - OP-Indikation: bei ausgeprägter KZH! bei Schielstellung in PP, bei störender Retraktion bereits in PP
- -> OP möglichst im Vorschulalter, weil dann der Befund besser einzuschätzen ist
-
Beschreibe die OP-Planung beim Retraktionssyndrom. #
- - OP am betroffenen Auge, dadurch Korrektur des primären Schielwinkels und dadurch Aufgabe der KZH
- - Resektionen oder Faltungen sollten vermieden werden, da diese die Spannung auf den Bulbus erhöhen und die Retraktion verstärken könnten
- - Typ I: starke Abduktionseinschränkung -> medialis Rücklagerung
- - Typ II: starke Adduktionseinschränkung -> lateralis Rücklagerung
- = präoperative Vorbereitung: Prismentrageversuch: Prismen vor GA bis KZH aufgelöst ist, Aufklärung über Ziele der OP, Motilitätsdefizit bleibt
-
Was sind die DD des Retraktionssyndroms? #
- - Abduzensparese
- - akk. Esotropie
- - XTi bei Typ II
- - normosens. Spätschielen
- - Strab. sursoadduktorius
|
|