Tötungsdelikte

  1. Vorsatz in §212
    • dolus eventualis: höhere Hemmschwelle als bei Körperverletzungsdelikten
    • Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände
    • Art der Ausführung; Gefährlichkeit der Tat; Beweggründe und Ziele; psychische Verfassung des Täters; Kenntnisse des Täters
    • Muss im Einzelfall geklärt werden
  2. Strafzumessungsvorschriften
    • § 212 II: besonders schwere Fälle - praktisch keine Bedeutung, da man meist ein Mordmerkmal findet
    • § 213: minder schwere Fälle - provozierter Totschlag (Alt. 1) oder unbenannte sonst minder schwere Fälle (Alt. 2)
  3. §213 Unbenannte sonst minder schwere Fälle (Alt. 2)
    • Gesamtbetrachtung aller Umstände (Tat und Täter)
    • z.B.Tötung des unehelichen Kindes nach der Geburt (Kindstötung, § 217 a.F)
    • z.B. aus Mitleid geleistete Sterbehilfe (falls § 216 keine Anwendung findet)
  4. Rechtfertigung bei Tötungsdelikten
    • Notwehr und Nothilfe (§ 32) - nur manche Mordmerkmale sind damit kompatibel
    • Keine Rechtfertigung durch Notstand (§ 34): Leben gegen Leben ist nach h.M. nicht abwägbar
    • Keine Einwilligung g das Rechtsgut Leben ist nicht disponibel
  5. §211StGB Mord
    Besondere Merkmale
    • Drei Gruppen von Mordmerkmalen
    • besondere Verwerflichkeit der Tatausführung (2.Gruppe) – Tat
    • besondere Verwerflichkeit des Beweggrundes (1.Gruppe) – Täter
    • besondere Verwerflichkeit des Ziels (3.Gruppe) – Täter
  6. Problem der Restriktion der harten Strafe für Mord
    • Nach § 211 ist an sich immer eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen - keine Strafzumessungsvorschriften
    • Lebenslange Freiheitsstrafe lässt sich nur in besonders verwerflichen Fällen rechtfertigen
    • Schwere der Tat muss im Verhältnis zur Härte der Strafe stehen
  7. Restriktionsversuche
    • Tatbestandsseite: Restriktive Auslegung der Mordmerkmale (besonders beim Heimtückemord)
    • Anpassung auf der Rechtsfolgenseite: Strafrahmen des §49 I Nr. 1 (dh nur 3-15 Jahre!)
    • In Anlehnung an die gesetzlichen Milderungsgründe (z.B.§§ 13 II, 17 S. 2, 21, 23 II) - "minder schwerer Fall einer besonders verwerflichen Tötung (Rechtsfortbildung)
    • Kritik: geltendes Strafrecht wird durch Richterrecht korrigiert
    • Der Täter wird dennoch als „Mörder“ verurteilt
  8. Einschlägige Fälle, bei denen eine Restriktion notwendig ist
    • notstandsnahe, ausweglose Situation
    • große Verzweiflung; tiefes Mitleid
    • „gerechter Zorn“; schwere Provokation (Kränkung) durch das Opfer
    • vom Opfer verursachter, ständig neu angefachter, zermürbender Konflikt
  9. Restritkionsversuche
    Lehre von der Typenkorrektur
    • Gesamtwürdigung, Mordmerkmal nur bei „besonderer Verwerflichkeit“ der Tat erfüllt - ist dies nicht der Fall kann es trotz Mordmerkmal nicht als Mord verurteilt werden
    • Mordmerkmale des § 211 II haben nur indizielle Bedeutung - keine Indizwirkung, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass die konkrete Tat nicht als besonders verwerflich einzustufen ist
    • Kritik: §211 ist zwingend, liegt ein Mordmerkmal vor, ist dies als Mord zu beurteilen
  10. Mordmerkmale: Verwerflichkeit des Beweggrundes (1. Gruppe)
    • h.M.: Merkmale des subjektiven Unrechtstatbestandes
    • Beulke: spezielle Schuldmerkmale, die auch in der Schuld zu prüfen sind
  11. Mordmerkmale (1. Gruppe)
    Mordlust
    • Def: Antrieb zur Tat entspringt allein dem Wunsch, einen anderen sterben zu sehen.
    • Töten aus Neugier, Angeberei, reiner Mutwillen, zum Zeitvertreib
  12. Mordmerkmale (1. Gruppe)
    Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes
    Täter sucht geschlechtliche Befriedigung im Tötungsakt (Lustmord), an der Leiche (Nekrophilie), will ungestörten Sexualverkehr (Vergewaltigungsmord mit bedingtem Tötungsvorsatz) oder sich nach der Tötung an der Videoaufzeichnung sexuell befriedigen (Kannibalen-Fall).
  13. Mordmerkmale (1. Gruppe)
    Habgier
    • Def.: Ungezügeltes und rücksichtsloses Streben nach Gewinn „um jeden Preis“.
    • Setzt mehr als bloße „Bereicherungsabsicht“ voraus
    • Gleichgültig ist, ob ein finanzieller Zuwachs oder eine finanzielle Entlastung (Schulden) angestrebt wird
  14. Mordmerkmale (1. Gruppe)
    Sonst niedrige Beweggründe
    • Tatantriebe, die nach allgemeiner rechtlich-sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verachtenswert sind.
    • Auffangmerkmal - Gesamtwürdigung der Situation (Lebensverhältnisse, Nachvollziehbarkeit, Verhältnis zwischen Motiv und Folge der Tat)
    • Bsp: Neid, Hass, Rache, Eifersucht, Rassenhass, Imponiergehabe, Enttäuschung über verweigerten Sex
    • Problem: Ehrenmord -
  15. Mordmerkmale (1. Gruppe)
    Ehrenmorde als niedriger Beweggrund
    • streitig
    • Mordmerkmale (1. Gruppe) sind subjektive Mordmerkmale - hier zählt die eigene Vorstellung
    • tvA.: die Vorstellungen der anderen Rechtsgemeinschaft sind maßgebend
    • Rsp: nach dt. Verständnis kein nachvollziehbares Motiv - die Vorstellungen der dt. Rechtsgemeinschaft sind maßgebend
  16. Mordmerkmale (2. Gruppe)
    Grausam
    • Def.: Täter fügt dem Opfer im Rahmen der Tötung aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besonders schwere Qualen körperlicher oder seelischer Art zu.
    • z.B. Foltern, Verbrennen, Verhungernlassen
    • z.B. Tötungsvorbereitungen in Anwesenheit des Opfers
  17. Mordmerkmale (2. Gruppe)
    Gemeingefährliches Mittel
    • Def.: Täter vermag die Wirkung des Tatmittels nicht sicher zu beherrschen, so dass dessen Einsatz geeignet ist, eine Mehrzahl unbeteiligter Dritter an Leib oder Leben zu gefährden.
    • z.B.Tötung durch Brandstiftung, Überschwemmung, Explosivmittel
    • z.B.Tötung durch Vergiften des Essens im Kessel einer Gemeinschaftsküche
    • z.B.Geisterfahrt auf der Autobahn
  18. Mordmerkmale (2. Gruppe)
    Heimtückisch
    • Täter nutzt die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers „in feindlicher Willensrichtung“ (BGH) bewusst aus, um es daran zu hindern, den Anschlag auf sein Leben zu vereiteln.
    • (+) Überraschungsangriff; Täter stellt demOpfer eine Falle; Tötung aus dem Hinterhalt
    • (+) Tötung eines Schlafenden (nimmt Arg- und Wehrlosigkeit mit in den Schlaf!)
    • (+) Tötung des „Familientyrannen“ (str, da Tyrann mit Gegenwehr rechnen muss, obwohl er friedlich schlummert und vielleicht deshalb schon was ahnen muss)
    • (-) Tötung eines Bewusstlosen, nicht ansprechbaren Schwerkranken (ohne Argwohn)
    • (-) Opfer ist wegen einer ohne Tötungswillen vorgenommenen Einwirkung bereits wehrlos
    • (-) Täter glaubt zum Besten des Opfers zu handeln (keine „feindliche“ Willensrichtung) Rechtsprechung begründet ihre Theorie mit dieser Konstellation
    • (-) Täter will dem Opfer Schimpf und Schande oder ein qualvolles Dahinsiechen ersparen
    • (-) Tatentschluss wurde in einer schwerwiegenden seelischen Konfliktlage gefasst
  19. Mordmerkmale (2. Gruppe)
    Heimtückisch - Arg- und Wehrlosigkeit
    • arglos = wer sich im Zeitpunkt der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht
    • kein Argwohn bei Kindern oder Bewusstlosen, jedoch beim Schlafenden
    • wehrlos = wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande oder in seiner Verteidigung stark eingeschränkt ist
    • Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit: Täter verübt einen Überraschungsangriff; Täter lockt das Opfer durch List, Täuschung, Berechnung in einen Hinterhalt/in eine Falle
  20. Mordmerkmale (2. Gruppe)
    Heimtückisch - Weitere Voraussetzungen?
    • Viele Heimtückemorde geschehen aus nachvollziehbaren Motiven, man ist hier besonders schnell im Bereich des Mordes, dies muss eingegrenzt werden
    • Problem: für den Totschlag gibt es kaum noch Fälle
    • BGH: der Täter muss die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzen
    • Kritik: vernachlässigt das Merkmal der Tücke und schränkt eigentlich nur bei Morden aus Mitleid ein
    • tvA: die Tat muss Ausdruck besonders verwerflicher Gesinnung sein (Typenkorrektur)
    • Kritik: besonders verwerfliche Gesinnung ist unbestimmt
    • tvA: die Tat muss mit einem besonders verwerflichen Vertrauensbruch verbunden sein (Tatbestandslösung)
    • Kritik: zu eng, gerade typische Heimtückemorde (z.B.Meuchelmord) nicht erfasst
    • tvA: Tat muss durch tückisch-verschlagenes Vorgehen geprägt sein (Tatbestandslösung)
    • Kritik: eine Täuschung des Opfers oder eine List wird nicht vorausgesetzt
  21. Mordmerkmale (2. Gruppe)
    Heimtückisch - Heimtücke gegenüber Kleinstkindern
    • grds (-) Kleinkinder können keinen Argwohn empfinden!
    • ausn (+) bei Überwindung besonderer Vorkehrungen (z.B. Vermischen eines bitteren Giftstoffes mit süßem Brei)
    • aber: uU ist auf die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter (zB der Eltern) abzustellen
  22. Mordmerkmale der 3. Gruppe
    • Merkmale des subjektiven Unrechtstatbestandes (hM)
    • aA: spezielle Schuldmerkmale (es muss dann auch bei der Schuld geprüft
    • Absicht = dem Täter kommt es auf die Ermöglichung/Verdeckung an - das Ziel muss für den Tötungsentschluss ausschlaggebend
    • Ermöglichung = der Täter tötet, um eine nachfolgende eigene oder fremde Straftat
    • Verdeckung = der Täter tötet, um eine vorangegangene Straftat oder Spuren dieser Straftat zu verdecken, die bei näherer Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten, um die eigene oder auch eine fremde Bestrafung zu vereiteln
  23. Mordmerkmale der 3. Gruppe
    Absicht des Täters
    • Tätervorstellung ist maßgebend: Es genügt, dass die „Straftat“ nur in der Vorstellung des Täters existiert
    • Der Täter muss glauben, dass seine Tat noch nicht voll erkannt worden ist
    • Keine Straftat:Tötung des Polizisten bei der Festnahme, Täter kann nicht mehr glauben, dass er oder die Tat unerkannt ist
    • Kausalität zwischen Ziel und Mord
    • Auch die Vermeidung von außerstraftrechtlicher Konsequenzen kann als Ziel dienen
  24. Mordmerkmale der 3. Gruppe
    Andere Tat - wie weit müssen die zu verdeckende/ermöglichende Tat auseinander liegen?
    • Die „andere“ Tat ist idR eine eigene Tat, kann aber auch eine fremde Tat sein (!)
    • z.T.: keine andere Straftat, wenn enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang
    • a.A.: wenn der Täter sich bereits in rechtsfeindlicher Einstellung in die Tötungssituation begeben hat
    • a.A.: wie bei den niedrigen Beweggründen muss auch hier eine Beurteilung der Gesamtsituation staat finden
    • a.A.: keine andere Tat, wenn beide die gleiche Angriffsrichtung hatten oder bei Augenblickslage
    • BGH: spontaner Tötungentschluss und Verdeckungsabsicht schließen sich nicht aus - bei panikartiger Kurzschlussreaktion greift eine Strafmilderung aus §21 iVm §49 I Nr. 1StGB
  25. Mordmerkmale der 3. Gruppe
    Verdeckungsmord durch Unterlassen
    Täter lässt das versorgungsbedürftige Opfer (von ihm in diesen Zustand gebracht) zurück, nimmt dadurch den Tod billigend in Kauf
    • Täter unterlässt die Hilfeleistung
    • Täter handelt nur mit Eventualvorsatz
    • Garantenstellung: wer den Erfolg (Tod) billigend in Kauf nimmt, kann nicht gleichzeitig eine Pflicht zur Abwendung haben
    • Tötungshandlung muss Verdeckungsmittel sein
    • Es ist egal, ob die Tötungshandlung ein Unterlassen oder eine Tat ist, solange das Verdeckungsmittel den Ursachenverlauf begründet
    • Kritik: Bestraft man auch das Unterlassen, würde vom Täter ein aktives Aufdecken verlangt, was unzumutbar ist
    • Kritik: für Verdecken muss mehr nötig sein, als ein bloßes Nichtaufdecken
Author
flipp_16
ID
26832
Card Set
Tötungsdelikte
Description
Definitionen und Streitentscheide bei den Tötungsdelikten
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